|
|
Landespressekonferenz 20.04.2004
|
|
Trotz des Einsatzes milliardenschwerer
Sonderprogramme verschärft sich die Ausbildungssituation
nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern jährlich. Eine
große Koalition reformfeindlicher Kräfte in Politik,
Wirtschaft und Verbänden klammert sich jedoch weiter
an ihre völlig gescheiterte Politik des Alimentierens
und Appellierens: Statt öffentliche Haushalte und
Arbeitslosenversicherung zu entlasten, schützt sie
ausbildungsunwillige Trittbrettfahrer. Statt den
individuellen Rechtsanspruch auf berufliche Erstausbildung
im Sinne der Berufswahlfreiheit des Grundgesetzes
durchzusetzen, werden „Haltet den Dieb!“-Debatten
gegen die betroffenen Jugendlichen geführt. |
|
Das Resümee nach 13 Jahren Sonderprogrammen
in Mecklenburg-Vorpommern lautet: |
|
- Land, Bund, EU und BA verausgabten in MV über
2,474 Mrd. € (ohne Mehrkosten der beruflichen
Schulen!)
- der Anteil der öffentlich voll- oder teilfinanzierten
Plätze lag zwischen 52 und 76 %
- nur noch 25 % aller Betriebe bilden aus
- das betriebliche Ausbildungsangebot sank seit
1997/98 um ein Viertel, der Ausbildungsplatzrückgang
ist größer als der Beschäftigungsverlust
- 2003 existierte für 42 von 100 Bewerbern in
MV ein betriebliches Ausbildungsangebot, Tendenz
sinkend, 1993 betrug das Verhältnis noch 60
: 100
- die reale Ausbildungslücke 2004 liegt nach
Schätzung des Wirtschaftsministers M-V bei 8.850
Plätz
|
Hauptursache der quantitativen und
qualitativen Probleme des deutschen dualen Berufsbildungssystems
ist die völlige Schieflage ihrer Finanzierung. Mit
dem von der rot-grünen Regierungskoalition auf den
Weg gebrachten Berufsbildungssicherungsgesetz muss
ein Ende der schleichenden Verstaatlichung der Erstausbildung
eingeleitet werden. Die vom DGB angeschobenen Berufsbildungsreformen
(neue Berufsbilder, Benachteiligtenausbildung, duale
Berufsvorbereitung, Berufsfrühorientierung, EXAM)
können ihre Wirkung nur entfalten, wenn die Geschäftsgrundlage
des Berufsbildungssystems in Ordnung gebracht wird. |
|
Die tatsächliche Lebenssituation junger
Menschen am Übergang von der Schule in das Erwerbsleben
(Harte Fakten!) spielt bei der derzeitigen politischen
Auseinandersetzung einer Ausbildungsplatzumlage
kaum eine Rolle. Im Mittelpunkt der Debatte stehen
die vermeintlichen negativen Effekte eines Gesetzes,
das die von der Wirtschaft selbst getragene solidarische
Finanzierung der dualen Berufsausbildung zum Ziel
hat. Dabei sind die Behauptungen und Argumente der
Umlagegegner trotz des von ihnen veranstalteten
öffentlichen Trommelfeuers sachlich falsch. Echte
Alternativen zum „Weiter so“ bleiben die Umlagegegner
schuldig. |
|
Der DGB stellt im Folgenden ihren
falschen Behauptungen einen Auszug von öffentlich
zugänglichen Fakten und Statistiken (Quellen: BA,
BiBB, StLA, IAB, Land M-V, Berufsbildungsberichte
Bund und M-V) gegenüber, um die Notwendigkeit einer
radikalen Korrektur der bisherigen Berufsbildungspolitik
des „Appellierens und Alimentierens“ aufzuzeigen. |
|
Behauptung 1 |
|
„Es gibt gar kein Ausbildungsproblem,
die Ausbildungslücke in Deutschland betrug Ende
2003 nur 20.000 Plätze.“ |
|
Fakten |
|
Die reale Ausbildungsplatzlücke, die
durch öffentlich finanzierte Sonderprogramme in
diesem Jahr zu schließen ist, wird vom Wirtschaftsminister
des Landes M-V auf 8.850 Plätze geschätzt. Diese
Größenordnung deckt sich mit der vom DGB Nord berechneten
Lücke von 9.500 Plätzen im Jahre 2003. |
|
Für die Bundesländer Hamburg, Schleswig-Holstein
und Mecklenburg-Vorpommern beträgt die reale Lücke
unter anteiliger Berücksichtigung der nicht vermittelten
Bewerber, der berufsvorbereitenden Maßnahmen, des
Eintrittes in Arbeit, des weiteren Schulbesuches,
des vorgezogenen Bundeswehr- bzw. Zivildienstes,
der Einmündung in außerbetriebliche Ausbildung oder
berufsvorbereitende Maßnahmen und nach Abrechnung
der unbesetzten Stellen insgesamt 17.000 Plätze! |
|
Von 1998 bis 2003 stieg der Anteil
der öffentlich vollfinanzierten Ausbildungsplätze
in M-V von 30 auf 38 %. |
|
Auch im aktuellen Vermittlungsjahr
ist keine Entwarnung erkennbar: Gegenüber dem Vorjahresmonat
sank das betriebliche Ausbildungsangebot in Mecklenburg-Vorpommern
zum 31.03.2004 um 516 Plätze (- 6,8 %) auf 7.109
Plätze. |
|
Trotz gigantischer öffentlicher Alimentierungen
des deutschen Berufsbildungssystems öffnet sich
die Schere zwischen Angebot und Nachfrage seit Jahren
zu Lasten der Jugendlichen. In Mecklenburg-Vorpommern
standen im September 2003 nur noch 42 betriebliche
Ausbildungsstellen pro Bewerber zur Verfügung. |
|
Verhältnis Bewerber zu betrieblichen
Ausbildungsstellen |
|
|
|
Gemeldete Ausbildungsstellen
MV |
|
|
|
Nicht Vermittelte Bewerber
und unbesetzte Ausbildungsstellen MV |
|
|
|
Behauptung 2 |
|
„Die Ausbildungsumlage ist ein teurer
Irrweg, der die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe
weiter sinken ließe.“ |
|
Fakten |
|
Absurd teuer ist der Status quo. Die
Steuerzahler und die Beitragszahler zur Arbeitslosenversicherung
tragen die gigantischen Kosten der Sonderprogramme
zur Bekämpfung der Ausbildungsnot, ohne eine Trendumkehr
beim Rückgang der betrieblichen Ausbildungsplätze
und der immer weiteren Verstaatlichung des Berufsbildungssystems
zu erreichen. |
|
Allein für Mecklenburg-Vorpommern
haben Land, Bund, ESF und Arbeitsverwaltung seit
1991 2,474 Milliarden € (ohne Mehrkosten der beruflichen
Schulen!) aufgewandt! |
|
Übersicht
der Umlage |
|
Öffentliche Förderung der
Berufsausbildung in MV 1991 bis 2003,
insges. 2,474 Mrd. € |
|
|
|
Ausbildungsplatzförderung des Landes
MV, des Bundes, des ESF und der Bundesagentur für
Arbeit in 1.000 € |
|
Behauptung 3 |
|
Ausbildungswillige Betriebe finden
nicht genügend ausbildungsfähige Bewerber. |
|
Fakten |
|
In Mecklenburg-Vorpommern kamen 2003
rechnerisch 2,5 Bewerber auf ein betriebliches Angebot.
Von den 26.348 Bewerbern wurden 7.019 Jugendliche
außerbetrieblich versorgt, weil sie keinen betrieblichen
Platz fanden oder wegen einer von der BA festgestellten
individuellen Benachteiligung. 1.959 Bewerber blieben
zum 30.09. unversorgt. Dies bedeutet, dass der Ausbildungsstellenmarkt
in MV durch diese insgesamt 8.978 „schwächeren Bewerber
entlastet“ wurde. Hinzu kommen die berufsvorbereitenden
Maßnahmen. |
|
Behauptung 4 |
|
Der Rückgang an betrieblichen Ausbildungsplätzen
in MV entspricht dem Rückgang der Beschäftigten. |
|
Fakten |
|
Seit dem höchsten Stand an betrieblichen
Ausbildungsplätzen 1997/98 sinkt ihre Zahl deutlich
schneller als die Zahl der Beschäftigten. Dies drückt
sich in der betrieblichen Ausbildungsquote (Bestand
Azubis bezogen auf die abhängig Beschäftigten) aus,
die seit 1999 kontinuierlich von 7,0 % auf 6,2 %
im Jahr 2002 gesunken ist. |
|
Die seit Jahren zurückgehende Zahl
der zur Verfügung gestellten betrieblichen Ausbildungsplätze
hat eine wesentliche Ursache im Rückgang des Anteils
der ausbildenden Betriebe. Im Mecklenburg-Vorpommern
sank dieser Anteil von 31 % (1997) auf 25 % (2002). |
|
|
|
Entwicklung der Ausbildungsplatzbewerber,
betrieblichen Ausbildungsstellen und der Beschäftigten
in MV |
|
Behauptung 5 |
|
Die Umlagefinanzierung würde zu Steuerausfällen
von bundesweit 600 Mio. € jährlich führen. |
|
Fakten |
|
Angesichts eines von der öffentlichen
Hand und der BA im Jahr 2003 aufgewandten Betrages
von 311 Mio € allein für Mecklenburg-Vorpommern
(ca. 1,7 Millionen Einwohner!) ist der vom Bundesfinanzministerium
befürchtete Steuerausfall lächerlich gering. |
|
Behauptung 6 |
|
Die Einführung der Umlagefinanzierung
führt zu erheblichen Verwaltungskosten und zusätzlicher
Bürokratie. |
|
Fakten |
|
Die Bekämpfung des Lehrstellenmangels
und die Administrierung der Sonderprogramme in Ost
und West hat monströse Strukturen geschaffen: Wer
zählt die zusätzlichen Personalstellen in den Wirtschafts-,
Bildungs- und Finanzministerien, im Landesförderinstitut,
in der Arbeitsverwaltung, den Kammern, Berufsschulen,
Bildungsdienstleistern und kommunalen Initiativen? |
|
Bei den Industrie- und Handelskammern
und den Handwerkskammern in M-V sind neben den eigenen
Ausbildungsberatern der Kammern seit Jahren 16 Ausbildungsplatzentwickler
tätig, die vom Bund mit ca. 600.000 € jährlich finanziert
werden. |
|
Das von den Bau-Tarifpartnern unterhaltene
Umlagesystem ist alles andere als ein bürokratisches
Monstrum. Es stabilisiert trotz erheblicher konjunktureller
und struktureller Probleme das Ausbildungsangebot
und wird von keiner Seite in Frage gestellt. |
|
Behauptung 7 |
|
Die Betriebe werden ihre bisherigen
Ausbildungsleistungen zurückfahren und sich freikaufen. |
|
Fakten |
|
Der betriebswirtschaftliche Anreiz
zur Schaffung von betrieblichen Ausbildungsplätzen
(auch über den eigenen Bedarf hinaus) ist ebenso
abhängig von der endgültigen Formulierung des Gesetzestextes
wie der Aufbau und der Umfang der Umlage-Administration. |
|
Behauptung 8 |
|
Mecklenburg-Vorpommern hat wegen seiner
hohen Ausbildungsquote Anspruch auf eine Ausnahmeregelung
im Berufsbildungssicherungsgesetz. |
|
Fakten |
|
Entscheidend für die Einführung einer
Umlagefinanzierung sind der tatsächliche Versorgungsgrad
mit Ausbildungsstellen (42 betriebliche Stellen
pro 100 Bewerber, Tendenz weiter fallend) und der
haushaltspolitisch brisante Umfang der öffentlichen
Hilfsprogramme. |
|
Das Bundesverfassungsgericht hat 1980
in seiner Urteilsbegründung zum damaligen Umlage-Gesetz
einen auswahlfähigen Ausbildungsstellenmarkt dahingehend
definiert, dass auf 100 Bewerber 112,5 angebotene
Stellen kommen müssen. |
|
Die betriebliche Ausbildungsquote
in MV liegt trotz Rückgängen auch 2002 mit 6,2 %
über den gesamtdeutschen Vergleichswerten (5,4 %).
Insofern ist es wahrscheinlich, dass Mecklenburg-Vorpommern
zu einem „Nehmerland“ nach dem Berufsbildungssicherungsgesetz
wird. |
|
Diese Quote sagt allerdings nichts
über den Versorgungsgrad mit betrieblichen Ausbildungsplätzen
und das tatsächliche Potential an ausbildenden Betrieben
aus. Das IAB-Betriebspanel hat für 2002 ergeben,
dass 26 % der ca. 50.900 Unternehmen in M-V nicht
ausbilden, obwohl sie die Voraussetzung hierfür
hätten. |
|
Forderungen
und Vorschläge des DGB Nord |
|
1. Die Landesregierung MV muss das
Berufsbildungssicherungsgesetz der rot-grünen Koalition
massiv unterstützen, um die Ausbildungssituation
der Jugendlichen sowie die eigene Haushaltssituation
nachhaltig zu entspannen. |
|
2. In das derzeit novellierte Berufsbildungsgesetz
muss dringend der individuelle Rechtsanspruch auf
berufliche Erstausbildung aufgenommen werden, der
die Berufswahlfreiheit nach dem Grundgesetz für
Jugendliche im Anschluss an die allgemeinbildende
Schule absichert. |
|
3. Die Einnahmen aus dem Umlage-Verfahren
sollen bevorzugt Betrieben zu gute kommen, die über
den Eigenbedarf ausbilden. |
|
4. Korrekturen im Gesetzentwurf der
rot-grünen Regierungskoalition: |
|
- Berechnungsgrundlage muss die tatsächliche
Ausbildungsplatzlücke von bundesweit über 200.000
Plätzen sein!
- Einbeziehung aller Betriebe ab 5 Beschäftigte
|
5. Die Bundesregierung muss bis zum
Inkrafttreten des Berufsbildungssicherungsgesetzes
ihr bisheriges Engagement in Bund-/Ostländerprogramm
von mindestens 14.000 Plätzen aufrechterhalten.
|
|
6. Das Landesbündnis für Arbeit muss
die Korrekturen am III-Säulen-Modell des Wirtschaftsministers
kurzfristig auf den Weg bringen: |
|
- Reduzierung der Prämienzahlungen (Säule I
+ II)
- Ausweitung der Verbundförderung
- Ausweitung des externen Ausbildungsmanagements
(EXAM)
- Ausweitung der Berufsfrühorientierung (Mobilität)
- zielgenauere Fortführung der Förderung der
Überbetrieblichen Lehrunterweisung (ÜLU)
|
|
|
|
|
|