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Nordkurier, 02.
Mai 2003
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Techno-Kids ohne Mai-Nelken |
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Organisatoren der Jobparade rechnen
auch in den nächsten Jahren mit Neuauflagen
Von unserem Korrespondenten
Michael Seidel |
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Schwerin. Tapfer, aber einsam spielte
gegen Mittag der rauschebärtige Saxophonist
mitten in der Mecklenburgstraße gegen den
Nachhall der Techno-Wummen an. Die hatten zuvor
von 15 mehr oder weniger phantasievoll, auch mehr
oder weniger politisch gestalteten Trucks aus die
zentrale Fußgängerzone der Landeshauptstadt
betäubt. Inzwischen war die Karawane um den
Pfaffenteich herum gezogen, Tausende Jugendliche
aus dem ganzen Land und den angrenzenden südost-
und westdeutschen Gefilden im hibbelnden Gefolge.
"Ausgebildet in Ruinen" war an einem der
LKW-Sattelauflieger zu lesen oder auch "MV
braucht uns - wir brauchen Jobs". Ein Neubrandenburger
Truck machte symbolisch auf die ellenlangen Anfahrtswege
der Berufsschüler aufmerksam, die manchem Jugendlichen
11-Stunden-Arbeitstage bescheren. Die Junge Union
hatte sich in den Wochen zuvor im Auswahlverfahren
mit ihrem Truck-Konzept wieder genauso durchgesetzt
wie verschiedene Gewerkschafts Jugendverbände.
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Stolpern über Scherben |
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Wer nicht dem Wagenzug auf den abgesperrten
Haupstraßen folgte, sondern die Innenstadt
diagonal gen Alter Garten durchquerte, stolperte
über Glasscherben - Überbleibsel einer
"Gegendemo", der so genannten Bierparade,
auf der alljährlich eine Handvoll Punks gegen
den Techno-Mainstream antrinkt. Ihr Versuch allerdings,
den Wagenzug in der Werdestraße zu blockieren,
wurde unauffällig von der Polizei beendet.
Währenddessen sammelten sich auf dem Alten
Garten, vor der Kulisse von Schloss, Staatstheater
und -museum, einige Tausend Menschen in Erwartung
des Wagentrosses sowie der abschließenden
Kundgebung. Ein erheblicher Teil des Publikums schien
dem Techno-Alter deutlich entwachsen. Mitte dreißig
aufwärts verfolgte gewissermaßen die
Jungeltern-Generation die geräuschvolle polit-musikalische
Demonstration ihrer "Kids", die mit der
traditionellen Mai-Nelke wenig gemein hat.
Gegen 15 Uhr schob sich dann die Spitze des Wagenkonvois
im Geleit weiterer Tausenden von Menschen an der
Schlossbrücke vorbei. Der Alte Garten war wi
eder gut genug gefüllt, um eine mächtige
Kulisse abzugeben für die politischen Forderungen
des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Unabhängig
davon, wie viel davon vom tanzenden Partyvolk mitgetragen
wurde, war der zentrale Adressat wieder einmal die
Bundesregierung. Die müsse "richtig Geld
in die Hand nehmen", um der drohenden Lücke
von 44 000 Ausbildungsplätzen etwas entgegenzusetzen,
forderte DGB-Bezirksvize Ingo Schlüter. Dass
die Jobparade auch Startschuss für eine Kampagne
Erneuerung des Bundes-Berufsbildungsgesetzes war,
sprach sich zwar unter dem Publikum nicht so ganz
herum. Aber für deren Erläuterung war
wohl auch eher das Pressegespräch am Rande
der Parade gedacht. |
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Mutiger Azubi |
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Dort trat dann mutig ein Azubi der
Deutschen Post AG auf: Wie es denn sein könne,
dass die Post sich als einer der Jobparade-Sponsoren
brüste, während sie die eigenen Azubis
nach der Lehre auf die Straße in die Leere
schicke, fragte Kevin Tata unerschrocken. Die Verantwortlichen
erklärten ihm, dass zwar an die Sponsoren Auswahlkriterien
wie Ausbildungsbereitschaft, Zulassung einer Interessensvertretung
im Unternehmen angelegt würden. Doch da die
Verträge schon recht frühzeitig abgeschlossen
würden, sei man vor kurzfristigen Unternehmensentscheidungen
wie der von Kevin beklagten leider nicht gefeit.
Dafür aber erlaubten sich die Veranstalter,
den Konflikt öffentlich sichtbar zu machen.
Damit konnte Kevin einigermaßen leben. Wie
lange diese rein ehrenamtlich organisierte Jobparade
als Protestkonzept noch taug e, wollte niemand der
Verantwortlichen vorher sagen. So lange jedoch ihre
politische Wirksamkeit erwiesen sei und der Spaßfaktor
bei den Beteiligten erhalten bleibe, stehe einer
Neuauflage in den nächsten Jahren wohl nichts
im Wege, wagte DGB-Jugendsekretär Olaf Schwede
eine Prognose. "Das Konzept der Wagenparade
funktioniert jedenfalls, dagegen ist das Musikformat
durchaus disponibel", scherzte DGB-Bezirksvize
Ingo Schlüter. Der "Parade-Vater",
der persönlich mehr auf Rockmusik steht, könnte
sich künftig auch Live-Bands vorstellen. Gestern
aber stürzte er sich mit seinen jugendlichen
Mitstreitern noch einmal unter das bis zum Abend
hüpfende Techno-Volk. |
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